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Julia Wilhelm
5. Sept. 2018
Scrum4Schools ist in die nächste Runde gegangen – dieses Mal in Österreich. Samuel Plessing ist Geschichtslehrer an der Interessenorientierten Mittelschule (IMS) Maria Lanzendorf in Niederösterreich und er hat sich mit einer 4. Klasse (in Deutschland wäre das die 8. Klasse) auf das Experiment Scrum im Unterricht eingelassen. Kurzerhand hat er seinen Unterricht in den letzten Wochen vor dem Schulende umgestaltet.
Samuel Plessing schlüpfte dafür in die Rolle des Lehrmeisters (in Scrum: Product Owner), und formulierte sein Ziel klar: Da im Lehrplan der 2. Weltkrieg vorgesehen war, bekam jedes Lernteam den Auftrag, ein Büchlein mit Zeitzeugenberichten zu erstellen. „Mir war wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler durch den Kontakt mit noch lebenden Zeitzeugen ein besseres Bewusstsein für die Geschehnisse dieser Zeit entwickeln konnten“, beschreibt Samuel Plessing seine „Vision“. Jeweils vier bis fünf Schülerinnen und Schüler sollten an einem Büchlein arbeiten. Zur besseren Orientierung wurden Teilziele mit entsprechenden Anforderungen vorgegeben: Ein Teilziel war beispielsweise, über das Alltagsleben in den Jahren 1937 bis 1955 zu berichten. Als Anforderungskriterien wurde definiert, dass sich die Schüler dabei auf die Kindheit konzentrieren sollten, aus welcher Region der Zeitzeuge stammte und welche Veränderungen der Anschluss Österreichs mit sich brachte. Ansonsten durfte jedes Lernteam seiner Kreativität freien Lauf lassen und Bonuspunkte sammeln, denn am Ende des Sprints wurde im Klassenverband das beste Büchlein gekürt – die Sieger erhielten einen Preis.
Wie lief der Unterricht nach den Prinzipien von Scrum ab?
Zu Beginn jeder Arbeitseinheit, ob in der Schulstunde oder in einem selbst festgelegten Zeitfenster zuhause, traf sich jedes Lernteam zum Daily, um sich optimal abstimmen zu können: Welche Anforderungen wurden schon behandelt, was soll in der kommenden Einheit von wem erledigt werden und wo wird noch Hilfe benötigt? Am Beginn jeder neuen Woche fand ein Review statt, in dem jedes Lernteam seine Teilziele im Plenum präsentierte. Durch die unterschiedlichen Kompetenzen der Lernteam-Mitglieder fiel es zu Beginn nicht jedem Schüler leicht, sich auf diese neue Art des Arbeitens einzulassen. Der entstehende Teamspirit trug allerdings dazu bei, dass dieses Gefühl schnell verflog und die Schüler sich gegenseitig unterstützten und bestärkten.Benotung: Die SchülerInnen entwickeln eine differenzierte Sicht auf Leistung
Am Ende des Sprints wurde jedes Teammitglied individuell benotet. Zunächst durfte jeder Schüler und jede Schülerin eine Selbsteinschätzung an Samuel Plessing kommunizieren, anschließend wurde gemeinsam im Team über die Benotung entschieden. Bei der individuellen Bewertung hatten sich einige Teammitglieder selbst eher schlechter bewertet als andere im Team – warum? Ein Schüler begründet dies damit, dass er weniger in Kontakt mit dem Zeitzeugen war als seine Teammitglieder. Aus seiner Perspektive hatte er weniger zum Produkt beigetragen. Doch was hier schön zu beobachten war: Die anderen Teammitglieder bestärkten den Schüler sofort und hoben hervor, dass er andere Teilaufgaben bearbeitet hatte, ohne die das gesamte Team nicht das liefern hätte können, was das Zeitzeugenbüchlein nun ausmachte. Die Schülerinnen und Schüler hatten also ein Gefühl dafür entwickelt, dass für eine gute Leistung – oder ein gutes „Produkt“ – weit mehr notwendig ist als das Offensichtliche und jeder Beitrag einen Wert hat.Retrospektive: Lernen aus dem eigenen Tun
Am Sprintende waren viele tolle Zeitzeugenbüchlein entstanden und fast alle Jugendlichen konnten die Note 1 erzielen. Darüber hinaus hatte den Schülerinnen und Schülern das Arbeiten mit Scrum wahnsinnig viel Spaß bereitet. Samuel Plessing hat die Rückmeldung bekommen, dass den Jugendlichen vor allem das selbstorganisierte Arbeiten gefallen hat und damit die Möglichkeit, sich die Aufgaben selbst einteilen zu können. Auch dem Herrn Lehrer selbst machte der Unterricht nach agilen Prinzipien viel Freude, weil auch er über den Tellerrand hinausblicken konnte. Er war zunächst überrascht und dann motiviert davon, wie sehr das Teamwork in seiner Klasse aufgeblüht ist. Völlig verblüfft habe ihn das selbstorganisierte Arbeiten und Denken seiner Schülerinnen und Schüler, durch das ganz unterschiedliche Sichtweisen und Perspektiven zum Vor-schein kamen, die im normalen Frontalunterricht vermutlich verborgen geblieben wären. „Ich denke, wenn man die jungen Menschen schon in der Schule mit Vorgehensweisen wie Scrum arbeiten lässt, sind sie ziemlich gut auf die moderne Arbeitswelt vorbereitet“, ist Samuel Plessing überzeugt. Das Gewinner-Team des Zeitzeugenprojekts hat übrigens einen Gutschein für den Wiener Prater bekommen, den es bei dem Ausflug einlösen konnte, den die Klasse zum Schulabschluss gemeinsam dorthin gemacht hat. An der Interessenorientierten Mittelschule in Maria Lanzendorf geht es im Herbst übrigens mit Scrum im Unterricht weiter: Eine zweite Klasse (6. Klasse in Deutschland) wird in Geschichte und Englisch damit arbeiten. Wir sind gespannt und werden berichten! Foto: CC0 Creative Commons - pixababy, geraltbottom of page